Ein Abtraum

Ich habe geträumt letzte Nacht.

Monster haben nicht immer Tentakel oder Schuppen oder lange Zähne und lauern unter dem Bett.

Die schlimmsten Albträume beginnen ganz harmlos.

Ich wollte mit meiner Mutter ins Theater. Meine Mutter ist seit vielen Jahren tot.

Das Theater war seltsam, eher wie ein Kino aufgebaut mit vielen unterschiedlichen Stücken, und ich wusste nicht was gespielt wird und was wir uns anschauen wollen.

Als ich an der Kasse stand, mich der Kassiererin näherte, immer noch nicht wusste für welches Stück ich Karten besorgen soll, war meine Mutter verschwunden, ich ließ Leute vor, sah mich um, sie war weg.

Irgendwann tauchte sie auf, war sich keiner Schuld bewusst, sie war schon vorgegangen.

Wir entschieden uns für eine Vorstellung, und ich stellte mich wieder an.

Als ich an der Reihe war, wusste ich nicht mehr, wie das Stück heißt, ich wusste nur noch den Namen der Hauptperson. Meine Mutter war schon wieder weg, ich konnte sie nicht fragen, im Programm fand ich weder das Theater (jeder Saal in diesem Kinotheater hatte einen anderen Namen) noch die Beschreibung des Stücks, die ich mir extra herausgesucht hatte. Ich las und las, ich befragte die Kassiererin, sie konnte mir nicht helfen, wusste nicht wovon ich sprach, ich schaute immer wieder hoch und suchte mit den Augen nach meiner Mutter, las immer hektischer das Programm, doch alles war unbekannt, und ich war völlig überfordert. Es war mir unangenehm, dass ich alles aufhielt, es war mir peinlich, dass ich mich nicht erinnern konnte, ich ärgerte mich über meine Unfähigkeit, etwas derart Simples zu erledigen, aber wo war meine Mutter, warum musste ich mich ohne sie darum kümmern, wenn es doch uns beide betraf.

Dann wachte ich auf.

Der Traum klingt harmlos, ich wurde nicht verfolgt, ich war nicht in Gefahr, ich wurde nicht einmal angeschrien, selbst die Kassiererin blieb freundlich und geduldig.

Trotzdem beschäftigt er mich sehr. Da war zum einen das Gefühl der Überforderung, dass ich mich in einer Situation befinde, die mir über den Kopf wächst, für die ich keine Lösung finde. Solche Träume habe ich regelmäßig, sie machen Angst, da ich mich auch im Alltag oft überfordert fühle.

Diese Träume sehen meistens so aus, dass ich etwas zusammenpacken muss, einen Koffer z.B. oder einen Umzugskarton, und was zuerst nach wenig aussieht wird immer mehr, ich bekomme es nicht unter, die Zeit drängt, jemand wartet auf mich oder eine Abreise steht bevor, aber egal wie sehr ich mich beeile, versuche mich zu strukturieren, Entscheidungen zu treffen was wichtig ist und was nicht, die Aufgabe wird immer gewaltiger und ist nicht zu bewältigen.

Letzte Nacht kam noch die Erinnerung an meine Kindheit dazu, an meine Mutter, die mich so oft im Stich gelassen hat, nicht da war, wenn ich sie dringend brauchte und immer Gründe fand, warum das nicht so schlimm sei und ich doch wunderbar zurechtkäme. Und wenn sie dann doch eingesehen hatte, dass sie falsch gehandelt hat, dann sollte ich Mitleid mit ihr haben, weil es ihr deswegen schlecht ging, und ich sollte sie verstehen.

Vor sehr vielen Jahren hatte ich im Urlaub einen Unfall und war verletzt. Mein Budget war knapp, ich hatte nicht eingeplante Zusatzkosten, und vor allem hatte ich Schmerzen und Angst. Ich rief bei ihr an, schilderte die Situation und fragte, ob sie mir Geld schicken könne. Sie konnte nicht, sie fragte nicht wie es mir ging, sie wollte nicht helfen.

Viele Jahre später kurz vor ihrem Tod sprach ich das Thema noch einmal an, auch um reinen Tisch zu machen, und sie erklärte mir, dass sie damals nicht den Eindruck hatte, dass ich Hilfe brauche, nicht verstanden hat, wie schlecht es mir ging und ich ja wohl eine Lösung gefunden habe.

Ja, die Verletzungen heilten, ja, im Nachhinein habe ich sie nicht gebraucht, aber das wusste zuerst niemand, ich konnte nicht laufen, hatte starke Schmerzen und befand mich im Süden von Kreta ohne Unterkunft und medizinische Versorgung. Ich war Anfang 20 und habe eine Mutter gebraucht. Das hat sie nicht verstanden.

Ich komme allein zurecht, das ist nicht der Punkt, aber selbst, wenn ich etwas ohne Hilfe schaffe, es ist leichter mit Beistand, mit dem Wissen, dass da jemand an meiner Seite und für mich da ist.

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